Miss Tammy in Aktion

Die Maschinenethik, die vor zehn Jahren oft noch als Kuriosität abgetan wurde, ist inzwischen Alltagsgeschäft. Sie ist etwa gefragt, wenn man bei Sprachmodellen bzw. Chatbots sogenannte Guardrails einzieht, über Alignment in der Form von Finetuning oder über Prompt Engineering. Wenn man GPTs erstellt, hat man das „Instructions“-Feld für das Prompt Engineering zur Verfügung. Dort kann der Prompteur oder die Prompteuse bestimmte Vorgaben und Einschränkungen für den Chatbot erstellen. Dabei kann auf Dokumente verwiesen werden, die man hochgeladen hat. Genau dies macht Myriam Rellstab derzeit an der Hochschule für Wirtschaft FHNW im Rahmen ihrer Abschlussarbeit „Moral Prompt Engineering“, deren Ergebnisse sie am 7. August 2024 vorgestellt hat. Als Prompteuse zähmt sie das auf GPT-4o basierende GPT, mit Hilfe ihrer Anweisungen und – dies hatte der Initiator des Projekts, Prof. Dr. Oliver Bendel, vorgeschlagen – mit Hilfe von Netiquetten, die sie gesammelt und dem Chatbot zur Verfügung gestellt hat. Der Chatbot wird gezähmt, der Tiger zum Stubentiger, der Löwe zum Hauslöwen, der ohne Gefahr etwa im Klassenzimmer eingesetzt werden kann. Nun ist es bei GPT-4o so, dass schon vorher Guardrails eingezogen wurden. Diese wurden einprogrammiert oder über Reinforcement Learning from Human Feedback gewonnen. Man macht also genaugenommen aus einem gezähmten Tiger einen Stubentiger oder aus einem gezähmten Löwen einen Hauslöwen. Das GPT liegt nun vor, von Myriam Rellstab auf den Namen Miss Tammy getauft (von engl. „to tame“, „zähmen“). Es liegt bei allen relevanten Kriterien über dem Standardmodell, mit dem es verglichen wurde, gibt etwa angenehmere, hilfreichere und präzisere Antworten auf die Fragen von verunsicherten oder verzweifelten Schülern und Schülerinnen. 20 Testpersonen aus einer Schulklasse standen dabei zur Verfügung. Moral Prompt Engineering hat mit Miss Tammy einen vielversprechenden Start hingelegt.

Abb.: Der Avatar von Miss Tammy (Bild: Myriam Rellstab)

Generative KI aus ethischer Sicht

Ende März 2024 ist der Band „Generative Künstliche Intelligenz: ChatGPT und Co für Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen. Herausgeber sind Prof. Dr. Sabine Seufert und Prof. Dr. Siegfried Handschuh von der Universität St. Gallen. Sie informieren wie folgt: „Generative Künstliche Intelligenz beschreibt eine Klasse von KI-Systemen, die in der Lage sind, aus großen Datenmengen zu lernen und auf dieser Grundlage neue, bisher nicht gesehene Inhalte zu generieren, wie beispielsweise Texte, Bilder, Musik oder Videos. Dabei wird die Generierungskapazität der KI mit dem Ziel eingesetzt, kreative Prozesse zu unterstützen, neue Ideen zu generieren und innovative Lösungsansätze zu liefern. Trotz ihrer beeindruckenden Fähigkeiten haben generative KI-Systeme auch ihre Herausforderungen, wie die Kontrolle über den generierten Inhalt, das Verständnis von Kontext und Bedeutung sowie ethische Fragen​ im Zusammenhang mit der Nutzung von generativer KI. Der Band gibt einen Überblick über generative KI-Systeme und beleuchtet die Auswirkungen auf das Management von Innovationen, Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft.​“ (Website Verlag) Im Band enthalten ist der Beitrag „Generative KI aus ethischer Sicht“ von Prof. Dr. Oliver Bendel. Weitere Informationen über shop.haufe.de/prod/generative-kuenstliche-intelligenz.

Abb.: Ein schwarzer Arzt ist oft nicht vorgesehen (Bild: DALL-E 3)

Eine weitere moralische Maschine

Tobias Buess, Yvo Keller und Alexander Shanmugam haben im Herbstsemester 2023 Data entwickelt, einen Chatbot für den Studiengang Data Science an der Hochschule für Technik FHNW. Betreuer waren Fernando Benites, ein Computerlinguist, und Oliver Bendel, ein Maschinenethiker. Der Chatbot kann Fragen zum Studiengang beantworten und mit Hilfe seiner künstlichen Moral auf die Sorgen und Bedürfnisse der Benutzer eingehen. Dem Chatbot stehen folgende Informationen aus dem Studiengang zur Verfügung: Spaces-Inhalte (Spaces ist die In-formations- und Kommunikationsplattform des Studiengangs), Handbuch, Ausbildungskonzept, Modulübersicht und Studienreglement. Als Sprachmodell wurde u.a. Mistral 7B genutzt. Fernando Benites gehört – wie seine frühere Hochschule festgestellt hat – „zu den Besten seines Fachs“. Oliver Bendel erfand 2012 den GOODBOT, einen regelbasierten Chatbot, der dann 2013 von drei Studenten der Hochschule für Wirtschaft FHNW implementiert wurde. Er konnte Probleme des Benutzers erkennen und auf mehreren Stufen eskalieren, bis hin zur Herausgabe einer Notfallnummer. Tobias Buess, Yvo Keller und Alexander Shanmugam haben diese Idee aufgegriffen. Wenn der Benutzer sich als labil erweist, wird er von Data an die Psychologische Beratungsstelle FHNW oder an Die Dargebotene Hand verwiesen. Der Chatbot ist ein Prototyp und wird im Moment von Studierenden getestet. Die Abschlusspräsentation des Teams findet am 26. Januar 2024 statt.

Abb.: Data ist eine moralische Maschine (Bild: DALL-E 3)

AI or what the ChatGPT

Am 20. Juni 2023 hält Prof. Dr. Oliver Bendel einen Onlinevortrag für LeLa, das Lernlabor Hochschuldidaktik für Digital Skills, ein Kooperationsprojekt der fünf Zürcher Hochschulen ETH Zürich, PHZH, UZH, ZHAW und ZHdK. „Ethische Implikationen generativer KI“ sind das Thema. Zunächst klärt der Technikphilosoph den Begriff der generativen KI (engl. „generative AI“). Dann stellt er aus Sicht von Informations- und Maschinenethik verschiedene Überlegungen zu diesem Bereich an, wobei er vor allem auf ChatGPT fokussiert. So ist die Frage, woher die Daten für das zugrunde liegende Sprachmodell kommen und unter welchen Bedingungen das Reinforcement Learning from Human Feedback abläuft. Zudem dürfte relevant sein, welche Daten man beim Prompt preisgibt und welche Prompts auf welche Art und Weise zurückgewiesen werden. Ein weiteres Problemfeld ist das Halluzinieren der Sprachmodelle bzw. der darauf basierenden Anwendungen. Diese verdrehen Fakten und erfinden Referenzen. Mit Visual ChatGPT soll man über Texteingaben Bilder generieren und dann einzelne Elemente editieren können. Solche und andere Bildgeneratoren wie DALL-E, Stable Diffusion und Midjourney werfen wiederum zahlreiche ethische Fragen auf, auch mit Blick auf den Kunstbereich. GPT-3 und GPT-4 bzw. ChatGPT sind nicht nur für bzw. als Chatbots und Contentgeneratoren relevant, sondern auch für Industrie- und Serviceroboter. In diesem Bereich hat indes vor allem das Sprachmodell PaLM-E Aufmerksamkeit erregt. Indem Bilddaten und Daten zu Zuständen und Ereignissen integriert werden, werden Virtualität und Realität verbunden. Konkret kann der Benutzer mit Hilfe eines Prompts einem Roboter eine Anweisung geben, die dieser dann in seiner Umgebung ausführt, die er vorher beobachtet hat und weiter beobachtet. Dabei sind wiederum Herausforderungen vorhanden, etwa mit Blick auf Verlässlichkeit und Haftung. Weitere Informationen zur Reihe „AI or what the ChatGPT“ über dizh.ch/event/was-sind-die-ethische-implikationen-generativer-ki/.

Abb.: Ein mit einem Bildgenerator erstelltes Bild

Generative KI im Wirtschaftslexikon

„Generative KI (‚KI‘ steht für ‚künstliche Intelligenz‘) ist ein Sammelbegriff für KI-basierte Systeme, mit denen auf scheinbar professionelle und kreative Weise alle möglichen Ergebnisse produziert werden können, etwa Bilder, Video, Audio, Text, Code, 3D-Modelle und Simulationen. Menschliche Fertigkeiten sollen erreicht oder übertroffen werden. Generative KI kann Schüler, Studenten, Lehrkräfte, Büromitarbeiter, Politiker, Künstler und Wissenschaftler unterstützen und Bestandteil von komplexeren Systemen sein. Man spricht auch, dem englischen Wort folgend, von Generative AI, wobei ‚AI‘ die Abkürzung für ‚Artificial Intelligence‘ ist.“ Mit diesen Worten beginnt ein Beitrag, der am 22. Februar 2023 im Gabler Wirtschaftslexikon erschienen ist. Es werden Informationen zu Entwicklung und Hintergrund sowie einige Beispiele für Anwendungen gegeben. Am Ende wird die Perspektive der Ethik eingenommen, unter besonderer Berücksichtigung der Informationsethik. Der Beitrag von Oliver Bendel kann über wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/generative-ki-124952 abgerufen werden.

Abb.: Von Midjourney generiertes Porträt

Sieht unheimlich echt aus!

Adrian Lobe stellte einige Fragen an Oliver Bendel, die sich auf Generative AI bezogen. Im Fokus waren KI-basierte Bildgeneratoren, die inzwischen fotorealistische Abbildungen erschaffen können. Solche legte der Journalist dem in Zürich lebenden Professor vor und wollte von ihm wissen, wie er diese Retortenmenschen aus ethischer Sicht bewertet. Die Antwort begann mit den folgenden Worten: „Es spricht zunächst nichts dagegen, mit Hilfe von KI-basierten Bildgeneratoren fiktive Frauen und Männer zu erschaffen, also Avatare oder Hologramme. Man schadet niemandem, wenn die Bilder auf dem Bildschirm oder in einem Gerät erscheinen. Problematischer sind Deep Fakes, die reale Personen teilweise oder gesamthaft abbilden. Sie können die Menschenwürde verletzen, vor allem bei sexuellen Darstellungen. Aus ästhetischer Sicht ist es interessant, Menschen auf die Welt zu bringen, die man selbst schön findet, die man aber weder in den Medien noch im Alltag antrifft. Es wird ein Mensch gemacht, hat Wagner in ‚Faust II‘ ausgerufen, als Mephistopheles zu ihm getreten ist. Allerdings war es nur ein kleiner Homunkulus. Nun kann man seinen Traum verwirklichen und eine realistische Figur nach seinen Wünschen kreieren. Das ist auch aus ethischer Sicht relevant – denn es kann zu einem guten, erfüllten Leben beitragen. Vielleicht werden einem bestimmte Wünsche auch erst klar. Man versteht besser, was man will und was man nicht will, was man schön findet und was nicht. Man lernt sich besser kennen und kann auch anderen mitteilen, was man will und schön findet. Nur werden sich nicht alle Wünsche erfüllen lassen. Und eine Partnerschaft ist auch kein Wunschkonzert.“ Es folgten durchaus kritische Anmerkungen zur Praxis des Bildergenerierens sowie weitere Antworten auf weitere Fragen. Einzelne Statements wurden in den Artikel „Sieht unheimlich echt aus!“ (auch: „Unheimlich echt!“) übernommen, der am 27. Februar 2023 in ca. 20 Schweizer Zeitungen erschienen ist, etwa in der Aargauer Zeitung, in der Luzerner Zeitung und im St. Galler Tagblatt, und auf den in der Folge etwa bei 20 Minuten Bezug genommen wurde.

Abb.: Goethe und Schiller